Die Oberuferer Weihnachtsspiele

Für das Jahrbuch 2023 verfasste unsere Kollegin Claudia Herter diesen Rückblick auf 30 Jahre Weihnachtsspiele an unserer Schule. Kurz vor den Spielen am 20.12.2024 darf er noch einmal veröffentlicht werden: 

Im 15./16. Jahrhundert wanderten Stämme, wohl aus dem Elsaß kommend, in den Süden von Baden und Württemberg über „das Meer (Bodensee) und über den Rhein“ nach Bayern. Weiter in den Osten nach Ungarn, bis in die Gegend von Oberufer an der Donau. Wie ein „heiliges Gut“ trugen religiöse Menschen ihren Brauch der Weihnachtsspiele mit sich und gaben ihn von Generation zu Generation mündlich weiter. Karl Julius Schröer, ein Hochschullehrer der Technischen Hochschule in Wien, entdeckte jene ursprünglichen Spiele in einem deutschen Dorf in der Nähe der Stadt Preßburg (Bratislava). Was an anderen Orten in Vergessenheit geraten war, wurde in dieser Abgeschiedenheit gepflegt und noch immer in einem donauschwäbischen Dialekt und in Reimen gesprochen. Er schrieb sie auf und veröffentlichte die Oberuferer Spiele um 1850/60.
Zitat: „Ein jeder, der mitspielen will, darf 1. nicht zu´n Diernen gehn, 2. keine Schelmliedel singen die ganze heilige Zeit über, 3. muß er ein ehrsames Leben führen, 4. muß er mir folgen. Für alles ist eine Geldstrafe, auch für jeden Gedächtnisfehler und dergleichen im Spiel.» (K. J. Schröer). In dieser bäuerlichen Umgebung galten strenge Vorschriften während einer wochenlangen Probenzeit, für die sonst eher „losen und nichtsnutzigen Buben“, die mitspielen wollten. Das Anliegen lag darin, Frommheit zu finden, auch in den losesten Buben. Was ist das Besondere an diesen Weihnachtsspielen, dass sie an so vielen Waldorfschulen gepflegt werden? Was bewegt unser Kollegium? Die Spiele werden aus dem Kollegium, der Oberstufe und auch der Elternschaft besetzt. Fast schon seit 30 Jahren wird dieser Aufwand betrieben, mit den Herbstferien beginnend, sich wöchentlich zu den Proben zu treffen. 

Dass wir, allen äußeren Widrigkeiten trotzend, ein tiefes Bedürfnis entwickelt haben, dass die Weihnachtszeit nicht die gleiche sein kann, ohne diese Spiele. Für mein Empfinden hat es etwas mit dieser Reinheit der Spiele zu tun. Da ist keine Sentimentalität, nichts Erklärendes und Intellektuelles. Alles ist geprägt von einer Wahrhaftigkeit, die mir als modernem Mensch im alltäglichen Leben leicht verlorengeht. Dieses so Ursprüngliche, Bildhafte und Gemütvolle der Sprache. Die Symbolik, die ähnlich wie in der bildenden Kunst, ohne Worte auf uns wirkt, wie z.B. die Farben der Gewänder, die Anzahl der Rosen und die Wege der Companei. Auch die schlichte Weisheit der Worte. Vor allem aber diese Möglichkeit, in der Schulgemeinschaft jeden Einzelnen da zu finden, wo er in seiner Biografie gerade ist! Den jüngeren Schüler, den heranwachsenden Menschen und den Erwachsenen. Ganz gleich, ob ich religiös orientiert bin, mich mit geisteswissenschaftlichen Gedanken beschäftige oder naturverbunden bin, ich kann Schönes, Wahres und Gutes in diesen Spielen finden. Wer schon einmal mitgespielt hat, kann sicher gut nachempfinden, dass es sich hier nicht um ein Schauspiel oder eine einstudierte Aufführung handelt. Es ist vielmehr ein Miteinander, ein Gemeinsames. Die Spieler und das Publikum sind nicht getrennt, was auch in den Umgängen der Companei, wie sich die Spieler nennen, zu spüren ist. Es bedarf keiner ausgeklügelten Inszenierung, keiner schauspielerischen Perfektion oder eines hinreißenden Bühnenbildes. Es ist kein schöner Raum oder eine große Bühne nötig, wichtig ist vielmehr eine innere Haltung, Lebendigkeit und Freude. Eine Verbundenheit zur Schulgemeinschaft, die sich vom alltäglichen Miteinander unterscheidet. Jedem, ob Mitspielendem oder Zuschauendem ist es möglich, für einen Moment in diese Rolle zu schlüpfen, etwas von seinen eigenen Stärken und Schwächen zu erleben. Warum wird es mir nicht langweilig, jedes Jahr das Gleiche zu sehen? Ich kann schon jedes Wort mitsprechen, ist das nicht ein alter Hut? Nein, diese drei Spiele ermöglichen mir jedes Jahr, einen Moment inne zu halten. Nicht zuzusehen, sondern mitzuerleben, um für einen bewussten Augenblick das Vergangene mit der Gegenwart zu verbinden und einen meist hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu richten. Oft erschreckend aktuell, wenn Krieg geführt wird, Geflüchtete einen Raum zum Leben suchen. Manchmal beeindruckend berührt durch einen Reim, der besonders lebendig auf mich wirkt, obwohl ich ihn schon so oft gehört habe. Aber immer etwas mehr geöffnet für das, was die Weihnachtszeit sein kann, jedes Jahr aufs Neue!